Die Bratsche, auch Viola genannt, ist ein wunderbares Instrument: In der Fülle ihrer Saiten-Stimmung kommt sie der menschlichen Stimmlage am nächsten, der Ton ist warm und anrührend. Gegenwärtig gibt es keinen besseren Bratschisten als Nils Mönkemeyer, der – mit seinem kongenialen Klavierpartner William Youn – in der Egestorfer Kirche St. Stephanus am 7. Oktober 2017 das Schönste beider Instrumente vorgeführt hat. Das Programm durchschritt die Musikepochen auf faszinierende Weise.
Am Anfang standen zwei berühmte Textvertonungen in instrumentaler Fassung: die Gedichtvertonung “Beau soir“ von Claude Debussy, des impressionistischen Komponisten, dessen Musik als Bindeglied gilt zwischen Romantik und Moderne. Dann folgte „Lachrymae“ von Benjamin Britten (1913-1976) , ein Werk, das der Komponist 1950 für den Bratschisten William Primrose in einer Fassung mit Klavier geschrieben hat. „Eine Musik von reinem Wohlklang, von schönem Schmelz, die vor dem Schmalzigen auch deshalb bewahrt ist, weil sie sich außerhalb des Rahmens unseres Dur-Moll-Systems bewegt“, heißt es in Werkbeschreibungen.
Der erste Teil des Abends fand seinen Abschluss mit der Arpeggione-Sonate von Franz Schubert, für ein Instrument – den „Arpeggione“ – geschrieben, das klanglich der Bratsche am nächsten ist und die heute ein Glanzstück der Bratschen-Literatur darstellt.
Nach der Pause zeigte William Youn sein ganzes Können: Er spielte eines der beiden wahrscheinlich bedeutendsten Soloklavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart: die Fantasie KV 475, deren Originalhandschrift aus dem Jahre 1785 erst 1990 in einer Bibliothek in Philadelphia gefunden wurde. Mozart bekam seinerzeit kaum mehr als umgerechnet 2000 Euro dafür, die Versteigerung der Originalnoten erbrachte bei Sothebys 1990 zwei Millionen Dollar, Käufer war das Mozarteum in Salzburg. Das Stück ist die einzige von Mozart niedergeschriebene Improvisation für Klavier, ein emotionales, seelisch aufgeladenes, wunderbares Werk – und William Youn als phantastischer Mozart-Interpret konnte auf dem Steinway-Flügel den schönsten Mozart herbeizaubern.
Der Abend schloss (vor allen Zugaben) mit der Sonate Es-Dur op. 120/2 für Viola und Klavier, das letzte kammermusikalische Werk von Johannes Brahms, ein Abschiedswerk, knapp und beeindruckend einfach im musikalischen Gestus, ein „Stil, der nicht gern über ein gewisses Niveau der Gemütsbewegung hinausgeht und grelle Kontraste lieber meidet als aufsucht“, schrieb der Musikkritiker Eduard Hanslick darüber. Ursprünglich war die Sonate für Klarinette verfaßt, aber weil seinerzeit ein Mangel an erstklassigen Klarinettisten herrschte, gab Brahms auch eine Version für Viola und Klavier heraus. In Egestorf war sie in vorzüglichster Besetzung zu hören.
Nils Mönkemeyer
Künstlerische Brillanz und innovative Programmgestaltung sind das Markenzeichen, mit dem Nils Mönkemeyer sich in kurzer Zeit als einer der „international erfolgreichsten Bratschisten“ (Harald Eggebrecht, Süddeutsche Zeitung) profiliert und der Bratsche zu enormer Aufmerksamkeit verholfen hat.
Als Exklusiv-Künstler bei Sony Classical brachte er in den letzten Jahren zahlreiche CDs heraus, die alle von der Presse hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet wurden. In seinen Programmen spannt Mönkemeyer den Bogen von Entdeckungen und Ersteinspielungen originärer Bratschenliteratur des 18. Jahrhunderts bis hin zur Moderne und zu Eigenbearbeitungen.
Seit 2011 ist Mönkemeyer Professor an der Hochschule für Musik und Theater München, an der er selbst einmal bei Hariolf Schlichtig studiert hatte. Vorherige Stationen waren eine zweijährige Professur an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden und eine Assistenzprofessur an der Escuela Superior Musica Reina Sofia Madrid.
William Youn
Als einen „echten Poeten“ mit „bravouröser Anschlagstechnik“ lobt die Presse den 1982 geborenen Pianisten William Youn. Seine Ausbildung begann der Kosmopolit Youn in Korea. In frühester Jugend zog er nach Amerika, wechselte später erneut den Kontinent und ging an die Musikhochschule Hannover sowie als Stipendiat an die Piano Academy Lake Como, wo er mit Künstlerpersönlichkeiten wie Karl-Heinz Kämmerling, Dmitri Bashkirov, Andreas Staier, William Grant Naboré oder Menahem Pressler regelmäßig arbeitete.
Seit vielen Jahren lebt der Pianist nun in seiner Wahlheimat München. Er konzertiert international von Berlin über Seoul bis New York mit Orchestern wie dem Cleveland Orchestra, den Münchner Philharmonikern, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Münchner Kammerorchester, dem Belgischen Nationalorchester, dem Mariinsky Theatre oder dem Seoul Philharmonic Orchestra.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Youn besonders mit Nils Mönkemeyer (gemeinsame CDs bei Sony Classical, 2015 mit Brahms, 2016 mit Mozart).